Foto: v.l.: Landrat Günther-Martin Pauli, Matthias Miklautz, Anke Traber, Jens Meiser, Dr. Dirk Seidemann, Martin Fahling (Bildquelle: Europa-Union ZAK)
Von Dagmar Stuhrmann, Zollern-Alb-Kurier, Redaktion Albstadt
Die IHK Reutlingen und der Kreisverband Zollernalb der Europa-Union hatten zur Podiumsdiskussion zum Thema „Europa – Chancen und Herausforderungen für die Wirtschaft“ eingeladen. Dabei gab es viel Lob, aber auch viel Tadel. Mit zahlreichen Beispielen veranschaulichte der Albstädter Firmenchef Jens Meiser seine Kritik an etlichen EU-Vorschriften.
Alles hat zwei Seiten – auch Europa. Ein großer Vorteil der Europäischen Union, neben vielen anderen, ist die Freizügigkeit. EU-Bürger können überall in der EU leben, studieren und arbeiten. Der Euro, die einheitliche Währung, erleichtert im Binnenmarkt vieles. Viel Kritik gibt es hingegen an der Vielzahl von Verordnungen von der Europa-Ebene, die zuweilen nicht wirklich sinnvoll erscheinen. Ein oft herangezogenes Beispiel: Die europäische Norm-Gurke, die nicht krumm sein darf.
Wo drückt der Schuh?
Was aber bedeutet Europa tatsächlich für die Wirtschaft? Vor welchen Herausforderungen stehen die Unternehmen in Europa? Welche Chancen bietet der gemeinsame Binnenmarkt für Waren und Fachkräfte? Wo drückt der Schuh durch Regulatorik und Vorgaben?
„Europa – Chancen und Herausforderungen für die Wirtschaft“ lautete das Thema der Podiumsdiskussion, zu der die IHK Reutlingen und der Kreisverband Zollernalb der Europa-Union mit Blick auf die Europawahl in die IHK-Geschäftsstelle Zollernalbkreis in Albstadt eingeladen hatten.
Erfahrungen eines Unternehmers
Jens Meiser, Geschäftsführer der Firma Karl Meiser in Albstadt, ließ in seinem Vortrag keinen Zweifel aufkommen: Die diversen Vorschriften machen ihm als Arbeitgeber das Leben schwer. Er sei, betonte er mehrfach, ein überzeugter Europäer. Im Grundsatz, räumte er ein, seien die Vorschriften und Gesetze gut, doch die Umsetzung sei realistischerweise nicht machbar.
Abbau der „übergriffigen Bürokratie“
Der Mittelstand werde von der EU nicht gehört. Er müsse, sagte Meiser ernst, aber dennoch augenzwinkernd, als „Elefant im Porzellanladen“ auftreten. Es gehe ihm nicht um EU-Bashing, sondern um einen Bericht über Tatsachen. Bei allem Positiven, das Europa mit sich bringe, hält er einen Abbau der „übergriffigen Bürokratie“ für dringend nötig. Als Fan der EU lautet sein Appell: „Wir müssen was draus machen.“
Zahlreiche interessierte Zuhörer verfolgten die Diskussion in Tailfingen.
Markteingriffe der EU schadeten der Wirtschaft. Meiser nannte zahlreiche Verordnungen, die hinterfragt werden müssten. Unter anderem das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz als Beispiel für eine Regulatorik, die Mittelständler auf eine harte Probe stelle.
Die Unternehmen wüssten, wer ihre Partner seien, müssten aber trotzdem im Zuge dieser Regulierung Sachverhalte ermitteln und Fragebogen ausfüllen, was „hirnrissig“ sei. „Wie kann so etwas durchflutschen?“ fragt Jens Meiser nicht nur sich, sondern diejenigen, die die Vorgaben beschließen. Im Inneren gebe es Vorschriften, an die man sich zu halten habe. „Aber was von außen reinkommt, interessiert nicht“, sagt Jens Meiser.
Welche Verbote sind nachvollziehbar?
Nicht nachvollziehbar ist für ihn etwa auch das Bestreben, die Ewigkeitschemikalien Pfas zu verbieten. Diese Stoffe würden sowohl für Outdoorbekleidung verwendet, was sicherlich hinterfragt werden könne. Man benötige sie aber auch etwa für die Herstellung von medizinischen Produkten wie Stents oder auch für Feuerwehrschutzbekleidung und Computer-Chips.
Einblicke in Arbeitsmarkt und Wirtschaft
Wie Jens Meiser gaben auch Anke Traber, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Balingen, und Martin Fahling, Bereichsleiter International und internationale Fachkräfte bei der IHK, Einblicke in ihre jeweiligen Bereiche.
Moderiert wurde die Podiumsveranstaltung von Dr. Dirk Seidemann, Kreisvorsitzender der Europa-Union. Zusammen mit Landrat Günther-Martin Pauli und Matthias Miklautz von der IHK hatte er auch die Begrüßung übernommen.
„Die EU bewegt viele, die Wirtschaft und die Menschen“, sagte Dr. Seidemann. Europa sei unter anderem der Garant für ein friedliches Zusammenleben. Einige Regelungen seien aber verbesserungswürdig. Die EU sichere Frieden und Wohlstand, betonte auch Matthias Miklautz. Für Landrat Günther-Martin Pauli ist die Wirtschaft kein Randthema, sondern existenziell für „die Chancen, die wir in der Gesellschaft haben dürfen“. Auch sein Appell: Überreguliertes sollte angepackt werden.
Hohe Exportquote
Martin Fahling rückte den Blick auf die hohe Exportquote, die für die Mitgliedsunternehmen der IHK Reutlingen gelte. Sie liege bei 60 Prozent. Der Großteil der Waren gehe in die EU, was auch für die Importe gelte. Der gemeinsame Binnenmarkt sei hier ein großer Vorteil. „Europa hat den Unternehmen viel gebracht“, erklärte Fahling.
Nachjustierung notwendig
Die Verflechtung ist enorm. Die Firmen seien angewiesen auf Kunden in und Lieferanten aus Europa. Freilich, so Fahling, müsse nachjustiert werden. Bürokratieabbau ist das Stichwort. Die EU, lautet eine Forderung der IHK, solle stärker auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen setzen. Auch er verwies allerdings auf Regelungen, die vom Grundgedanken her gut seien, manchmal aber nicht zu Ende gedacht seien und „in Branchen ankommen, wo sie keinen Sinn machen“.
Wo ist Potenzial für Arbeitskräfte?
Aus Sicht von Arbeitsagenturchefin Anke Traber bietet Europa durchaus Chancen für die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts. Zum Erfolg der Wirtschaft gehöre als Voraussetzung, Arbeitskräfte in der entsprechenden Zahl und Qualifikation zur Verfügung zu haben. Der Bedarf an Arbeitskräften sei hoch. Das größte Potenzial sieht sie bei Frauen, die oft nur in Teilzeit arbeiten, obwohl sie eventuell eigentlich mehr arbeiten wollten. Sie könnten dies aber oft aufgrund mangelnder Rahmenbedingungen, was Kinderbetreuung und Pflege angeht, nicht machen.
Potenzial sieht sie aber auch bei älteren Menschen über 55 Jahren sowie bei Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich der Beschäftigten ohne abgeschlossene Ausbildung. „Das inländische Erwerbspotenzial sinkt“, so Anke Traber, „deshalb brauchen wir Zuwanderung von qualifizierten Kräften.“