Stuttgart – „Im Naturschutzgebiet Taubergießen am Rhein wird die deutsch-französische Freundschaft seit Jahren praktisch gelebt. Ganz im Sinne eines starken Naturschutzes in Europa arbeiten dort NABU und die französische Liga für den Vogelschutz (LPO) mit Sitz im Elsass seit vielen Jahren Hand in Hand zusammen.“ Das sagte der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle heute anlässlich einer Exkursion in dieses einzigartige Feuchtbiotop von europäischem Rang. Der Besuch fand gemeinsam mit der Präsidentin der Europa-Union Baden-Württemberg und Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt MdEP, statt. Start der Rundtour war die Naturschutzstation im symbolträchtigen ehemaligen Zollhäuschen. Den einstigen Kontrollpunkt in der Nähe der deutsch-französischen Grenze bei Kappel-Grafenhausen passieren heute jährlich rund 500 Besucherinnen und Besucher, um sich bei NABU und LPO über die besondere Landschaft und ihren Artenreichtum zu informieren.
Die Fläche ist Teil des europäischen Naturschutznetzes Natura 2000. Sie erstreckt sich über die Gemarkung von 14 Gemeinden, ein Teil des Naturschutzgebiets liegt auf französischer Gemarkung von Rhinau. „Für mich ist dieses wunderschöne und artenreiche Schutzgebiet ein Sinnbild für die europäische Gemeinschaft, die im Naturschutz viel Gutes und Wichtiges vollbracht hat. Natura 2000 hilft uns, das europäische Naturerbe wirksam zu schützen. Hier im Taubergießen wird sichtbar, was wir mit dem europäischen Einigungsprozess erreicht haben“, sagte die Deutsch-Französin Gebhardt. „Wo früher ein Grenzhäuschen die Nationen trennte, setzen sich heute Deutsche und Franzosen gemeinsam für den Arten- und Biotopschutz ein. Das ist ein schönes Sinnbild für die europäische Kooperation.“
Mystische Auenlandschaft und Orchideenheimat
Für den NABU-Landeschef Enssle ist der Taubergießen ein einmaliger Ort: „Ich bin froh, dass unser gemeinsames Handeln über Landesgrenzen hinweg seit rund vier Jahrzehnten eines der größten Schutzgebiete des Landes vor anderweitiger Nutzung bewahrt hat. Der Taubergießen ist wichtig für die Natur, aber auch für uns Menschen, die die einzigartige Landschaft hautnah erleben dürfen. Das einmalige Naturschutzgebiet ist mit seiner mystischen Auenlandschaft, dem Halbtrockenrasen mit reichem Orchideenbestand, den Gewässern und Bannwäldern ein Teil unseres europäischen Naturerbes und bietet seltenen und teils vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten, Vögeln und Insekten eine Heimat“, erklärte Enssle vor dem Start zum vogelkundlichen Rundgang mit Besuch des Vogelbeobachtungturms und der Herrenkopfbrücke.
Dass womöglich Anfang Mai gezielt und in riesigem Ausmaß fast der komplette Bestand an seltenen Orchideen der Art Spinnen- und Hummelragwurz in dem Schutzgebiet einfach ausgegraben werden konnte, zeigt für den NABU die Verletzlichkeit des Gebiets. Enssle und Gebhardt fordern daher eine bessere personelle Ausstattung in dem fast 1.700 Hektar großen Gebiet: „Sollte sich herausstellen, dass tatsächlich professionelle Diebe am Werk waren, und nicht Wildschweine, die die Orchideenknollen ausgegraben haben, erfordert dies eine rasche und eindeutige Reaktion der Politik. Dann sollten Ranger die aktuell tätigen Naturschutzaktiven unterstützen“, sagt Enssle.
Quartier für tausende durchziehende Wasservögel
Welche Bedeutung das Natura-2000-Gebiet als Rückzugs- und Überwinterungsgebiet für viele tausend Vögel jedes Jahr hat, erläuterten Dr. Gabriele Weber-Jenisch (NABU) und Alain Willer (LPO-Frankreich) von ihrem aussichtsreichen Posten auf dem Beobachtungsturm aus: „Der Taubergießen hat sich im Zuge des Rheinausbaus in 150 Jahren von einer urwüchsigen Flussauenlandschaft mit Kies- und Sandbänken zu einer Kulturlandschaft entwickelt. Das fast 1.700 Hektar große Naturschutzgebiet umfasst einen der letzten urwaldartigen Auenwälder des Landes. Ein Bannwald bietet Lebensraum für eine Vielzahl an geschützten Tier- und Pflanzenarten. Seltene Vogelarten, wie Flussseeschwalbe, Eisvogel und Pirol, brüten im Taubergießen. In der Zugzeit kommen tausende Wasservögel als Durchzügler und Wintergäste dazu. Der Taubergießen ist auch als Rückzugsgebiet seltener Amphibien und Insekten ein Zeichen für gelungene europäische Kooperation.“
NABU und LPO sind seit 2015 gemeinsam für Besucherinnen und Besucher vor Ort, informieren und führen Gruppen nach Anmeldung durchs Gebiet. Philipp Farner und Gabriele Weber-Jenisch dokumentieren die Entwicklung im Schutzgebiet und arbeiten dafür eng mit der ökologischen Station Taubergießen des Regierungspräsidiums Freiburg zusammen. Aktuell wird eine neue Besucherlenkung installiert, um sensible Bereiche besser zu schützen. „Dass wir hier seit vielen Jahren freundschaftlich zusammenarbeiten, ist ein starkes Zeichen für die deutsch-französische Freundschaft im Naturschutz am Rhein“, betonen beide.
Mit dem Besuch des Schutzgebietes, so kurz vor der Europawahl, wollen die beiden Landesverbände von NABU und Europa-Union auf die Bedeutung eines geeinigten Europas aufmerksam machen. „Europa ist nicht nur ein Projekt des Friedens und des wirtschaftlichen Zusammenhalts. Europa ist auch ein Projekt für die Verbesserung der Lebensbedingungen für Natur und Mensch“, erklärt Evelyne Gebhardt. Johannes Enssle ergänzt: „Wir brauchen dieses Europa und wir appellieren daher an alle Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl am 26. Mai einem geeinten und starken Europa ihre Stimme zu geben.“
Hintergrund
Das Naturschutzgebiet Taubergießen
Der Taubergießen ist mit einer Gesamtfläche von fast 1.700 Hektar eines der größten Naturschutzgebiete in Baden-Württemberg. Die Wiesen im Schutzgebiet bieten vor allem im Frühsommer mit rund 700 Pflanzenarten, darunter allein 26 Orchideenarten, einen farbenprächtigen Anblick. Seltene Vogelarten, wie Flussseeschwalbe, Eisvogel, Turteltaube und Neuntöter, brüten im Taubergießen. In der Zugzeit kommen tausende Wasservögel als Durchzügler und Wintergäste dazu. Der Taubergießen ist zudem ein Rückzugsgebiet für seltene Amphibien und Insekten. Das Gebiet beeindruckt mit unterschiedlichen Landschaftstypen: Urwaldartige Auenwälder, stehende und fließende Gewässer, Uferzungen, Wiesen und Halbtrockenrasen beherbergen unzählige Tier- und Pflanzenarten. Der Taubergießen ist seit 1979 als Naturschutzgebiet ausgewiesen und gehört auch zum Natura-2000-Gebiet.